Adipositas verstehen, Schluss mit Vorurteilen: Fakten statt Mythen bei starkem Übergewicht - Die Sonderseite mit Dr. Son im Interview
Stellen Sie sich vor, Sie laufen durch einen Raum voller Spiegel. Jeder Spiegel zeigt ein verzerrtes Bild – mal zu groß, mal zu klein, mal völlig verfälscht. Genau so erleben viele Menschen mit starkem Übergewicht ihren Alltag: Sie sehen sich selbst durch die Spiegel der Vorurteile. „Selbst schuld.“ „Einfach weniger essen.“ „Mehr Sport reicht schon.“
Doch was passiert, wenn man all diese Spiegel zerschlägt und den klaren Blick auf die Realität zulässt? Dann zeigt sich: Adipositas ist keine Frage von Willensschwäche – sondern eine chronische Erkrankung, die ernst genommen werden muss.
Wir sprechen mit Dr. med. Min-Seop Son, Chefarzt und Leiter des Zentrums für Adipositas- und metabolische Chirurgie an der WolfartKlinik, über Fehlinformationen, moderne Therapien und darüber, warum es sich lohnt, die Mythen hinter sich zu lassen.
Warum sind Vorurteile gegenüber Übergewichtigen so gefährlich?
Dr. Son: Weil sie dazu führen, dass Betroffene zu spät Hilfe suchen – oder gar nicht. Viele glauben, sie müssten das Problem allein „lösen“, weil Adipositas als Lifestyle-Thema dargestellt wird. Doch die Fakten sprechen eine andere Sprache: Die Weltgesundheitsorganisation stuft Adipositas klar als chronische Erkrankung ein – vergleichbar mit Diabetes oder Bluthochdruck, die ebenfalls eine langfristige Therapie brauchen.
Sind Betroffene also nicht einfach „selbst schuld“?
Dr. Son: Diese Vorstellung hält sich hartnäckig, ist aber schlicht falsch. Natürlich spielt Ernährung eine Rolle. Aber das allein greift viel zu kurz. Genetische Faktoren, hormonelle Einflüsse, bestimmte Medikamente, Schlafmangel und hochverarbeitete Lebensmittel beeinflussen das Gewicht. Zudem reagiert der Körper nach einer Gewichtsabnahme mit einer sogenannten „metabolischen Anpassung“ – der Körper arbeitet durch eine Vielzahl von Mechanismen aktiv gegen die Gewichtsabnahme und fördert somit die erneute Gewichtszunahme. Das zeigt: Adipositas ist ein komplexes Zusammenspiel genetischer und biologischer Prozesse.
„Mehr Sport“ als Lösung – stimmt das dann auch nicht?
Dr. Son: Bewegung ist für die Gesundheit unverzichtbar. Aber wer allein auf Sport setzt, wird meist enttäuscht. Der Körper kompensiert, etwa durch gesteigerten Appetit. Ein bekanntes Beispiel: Teilnehmer von Abnehm-Shows konnten ihr Gewicht langfristig kaum halten, weil ihr Stoffwechsel dauerhaft gebremst blieb. Sport wirkt also positiv auf Herz, Psyche und Gelenke – ersetzt aber keine strukturierte Therapie.
Was sagen die medizinischen Leitlinien zur Behandlung?
Dr. Son: Die Fachgesellschaften empfehlen ein klares Stufenkonzept. An erster Stelle stehen Ernährungs- und Verhaltenstherapie sowie regelmäßige Bewegung. Dann kommen moderne Medikamente hinzu, die in den Stoffwechsel eingreifen und das Abnehmen erleichtern. Und bei schwerer Adipositas oder Folgeerkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck gilt die bariatrische Chirurgie – also Eingriffe wie Magenverkleinerung oder Magenbypass – als die wirksamste und langfristig stabilste Methode.
Medikamente oder Operation – was wirkt denn besser?
Dr. Son: Moderne Medikamente sind eine große Bereicherung, aber die Daten zeigen: Die Operation bleibt derzeit der Goldstandard für eine stabile, langfristige Gewichtsreduktion und für die Verbesserung von Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck. Wichtig ist: Es geht nicht um ein „entweder-oder“. Es geht letztendlich um eine individuell angepasste Therapie. Oft erzielen wir die besten Ergebnisse, wenn wir beide Ansätze kombinieren.
Welche Rolle spielt Stigmatisierung im Alltag der Betroffenen?
Dr. Son: Eine sehr große. Vorurteile führen zu Scham und dazu, dass Menschen mit starkem Übergewicht medizinische Hilfe jeglicher Art meiden. Studien zeigen, dass sie weniger oft diagnostiziert und behandelt werden – obwohl die Leitlinien klare Empfehlungen geben. Für uns im Adipositas-Zentrum ist es selbstverständlich und entscheidend: Wir begegnen unseren Patienten ohne Vorurteile und mit Verständnis und finden dann gemeinsam die passenden Therapien.
Was raten Sie Menschen mit starkem Übergewicht?
Dr. Son: Vor allem: Geben Sie sich nicht selbst die Schuld. Adipositas ist keine Schwäche, sondern eine Erkrankung, die behandelbar ist. Mythen halten niemanden gesund – moderne Therapien und Fakten dagegen schon. Niemand muss diesen Weg allein gehen. Wir nehmen uns Zeit, hören zu und entwickeln gemeinsam mit Ihnen einen individuellen Behandlungsplan. Rufen Sie uns einfach an – der erste Schritt ist ein Gespräch, und oft beginnt damit schon die Veränderung.
Kontakt:
AMC Wolfartklinik
Zentrum für Adipositas- u. Metabolische Chirurgie
Ruffiniallee 17
82166 Gräfelfing
Telefon 089 8587-4925
info@adipositas-muenchen.de














